Sonntag, 22. Februar 2004

DER FEIND ALS MEDIZIN


Liebe Mitbrüder, liebe Mitfeiernde!

Eine ziemliche harter Brocken wird uns da heute am Faschingssonntag zugemutet: da wird uns ein Evangelium verkündet, das einem so jeden Spaß verderben kann und nur ziemlich schwer zu verdauen ist. Der moralische Anspruch kann wohl kaum noch überboten werden: Wer mir auf die Wange schlägt, dem soll ich auch noch die andere hinhalten. Wenn mir jemand etwas wegnimmt, dann soll ich es nicht zurückverlangen. Und es reicht auch nicht, wenn wir mit unseren Nächsten gut auskommen, - was ja schon oft schwer genug ist: Wir sollen auch unsere Feinde lieben.

Das kann uns natürlich in der Faschingszeit um einiges leichter fallen: Nach ein paar Maß Bier kennt man ja in der Regel keine Feinde mehr. - Man hat nur noch Freunde! - Aber schon der Aschermittwoch holt uns wieder auf den harten Boden der Realität zurück: Es ist schwierig zu lieben.

Im Alltag sind wir oft der Meinung, dass wir uns weit absetzen von der Haltung, die da lautet: „Auge um Auge und Zahn um Zahn“. Doch wenn wir unser Verhalten einmal ehrlich kontrollieren, dann werden wir feststellen, wie schwierig es ist, schon diesen Grundsatz einzuhalten. Denn dieser Grundsatz sagt eigentlich nur folgendes: Ich soll nur genau das wieder einfordern, was mir an Schaden zugefügt wurde. Also: Ein Auge für ein Auge. Und einen Zahn für einen Zahn. - Also für das eine Auge nicht gleich den Menschen und für den einen Zahn nicht gleich den ganzen Kopf.

Unser Gefühl nach Vergeltung meint aber oft schon, dem anderen mehr antun zu müssen, als man selbst erlitten hat: Hat man z. B. den Eindruck, in einem Wortgefecht eine „Breitseite“ abbekommen zu haben, dann schießt man gerne mit einer „doppelten verbalen Breitseite“ zurück, um den Gegner endgültig zum Verstummen zu bringen - Das ist irgendwie menschlich, aber sicherlich falsch! – Für das eine Auge nur ein Auge und für den einen Zahn nur einen Zahn zu fordern, ist also gar nicht so einfach. Das verlangt schon eine Menge an Selbstdisziplin.

Sehr viel schwieriger ist dann die Forderung Jesu, auch noch die andere Wange hinzuhalten. - Sind wir damit nicht total überfordert, so dass wir es oft erst gar nicht versuchen? Was also ist gemeint mit der Feindesliebe die Jesus von denen fordert, die ihm nachfolgen wollen? Warum sollen wir eigentlich unsere Feinde lieben?

Liebe Brüder und Schwestern!
Bevor ich auf die Begründung Jesu zu sprechen komme, ist es hier vielleicht einmal hilfreich, einen Blick auf die Erfahrungen der Wüstenväter zu werfen. Diese geben uns auch für heute noch wichtige Hinweise, die man leicht und gerne übersieht. So schreibt ein Altvater: „Wenn dich dein Bruder verlacht, verhöhnt oder gekränkt hat, dann musst du diesen Bruder wie einen Arzt betrachten, der dir von Christus als Wohltäter geschickt wurde. Wenn du nicht krank wärest, dann würdest du nicht leiden. Du musst also dem Bruder danken, denn du kennst nun deine Krankheit. Du musst für ihn beten und das, was du von ihm bekommst, als Heilmittel entgegennehmen, das dir vom Herrn geschickt wurde.“

Die Mönche haben offensichtlich die Erfahrung gemacht, dass der andere, der mich kränkt, mich auf meine eigene Krankheit stößt. Ich würde nicht so heftig auf beleidigende Worte reagieren, wenn sie mich nicht an einer schwachen Stelle treffen würden. Sie decken manchmal Punkte in mir auf, die ich selbst nicht wahrnehme oder nicht wahrnehmen möchte. Wenn ich mich schnell über die Worte anderer aufrege, muss ich mir selbst eingestehen: Bei mir selbst ist da etwas noch nicht in Ordnung!

So zeigt mir ein schwieriger Mitmensch oft, wie viel Ungeduld und Zorn in mir sind. Er bewahrt mich also vor der Illusion, als ob ich schon fast vollkommen wäre. Er zeigt mir meine Grenzen auf: Ich bin noch nicht fähig, Menschen wirklich zu lieben, wenn ich mich schnell von meinen negativen Emotionen hinreißen lasse und schon bei kleinen Nadelstichen sofort explodiere.

Und zum anderen hilft mir der schwierige Mitmensch zu einer besseren Selbsterkenntnis. Denn gerade die Fehler, über die ich mich bei den anderen aufrege, sind auch in mir vorhanden. „Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf!“ (schreibt Hermann Hesse). Wir brauchen uns nur selbst zu beobachten, worüber wir uns bei anderen aufregen, um unsere eigenen Fehler zu erkennen. Wer seine Fehler nur immer im anderen sieht, kommt mit sich selbst nicht weiter.

So sind im spirituellen Leben also unsere Feinde eigentlich unsere besten Freunde. Erst wenn man den Feind zur Tür hineinkommen lässt, bekommt man seine eigene Sünde, seine eigene dunkle Seite zu Gesicht. - Die alten Mönche haben das erkannt: Menschen, die dich niedermachen, denen du aus dem Weg gehst, haben dir etwas Wichtiges zu sagen. Oft verurteilen und verabscheuen wir nur unsere eigenen Fehler in den anderen. Darum haben deine Feinde dir etwas Ernsthaftes mitzuteilen. Du brauchst sie, um darauf aufmerksam zu werden.

Kommen wir jetzt zu Jesus selbst. Welchen Grund gibt er an, seine Feinde zu lieben?
Seine Begründung ist ebenso einfach wie eindeutig: „Nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden.“
Wenn man Jesu ernst nimmt, - und Jesus ist nicht "Prinz Karneval" -, wenn man also seinen Worten vertraut und genauer darüber nachdenkt, dann kann es einen schon manchmal eiskalt den Rücken hinunterlaufen. - So geht es mir auf jeden Fall: Wie vorschnell urteilt und richtet man im Alltag oft über andere. Wie schnell mache ich meine „inneren Schubladen“ auf und ordne ein in: Gut oder Böse, Richtig oder Falsch, Schuldig oder Unschuldig? – Jesus verweist auf Gott, unseren Vater: Er lässt die Sonne aufgehen über Gerechte und Ungerechte. Er lässt es regnen über Gute und Böse.

Wir Menschen hingegen scheinen es oft besser zu wissen und fangen mit dem Ausjäten gerne schon einmal an. Und mit unserer scharfen Axt hacken wir dabei auch schon einmal schnell etwas mit um, was Gott vielleicht noch hätte wachsen lassen. – Das was wir anpacken machen wir in der Regel gründlich, - aber leider oft auch erbarmungslos!

Den Feind lieben heißt aber: Eintreten in die Haltung Gottes. Wir sollen etwas von seiner großen Barmherzigkeit schon hier auf Erden verwirklichen und die anderen davon spüren lassen . Und d.h. vor allem auch : „Nicht Böses mit Bösem“ zu vergelten, wie der hl. Benedikt sagt. – Nur so unterbrechen wir die Spirale der Gewalt und kommen einen Schritt weiter.

Die bekannte Kinderbuchautorin Astrid Lindgren bekam 1978 den „Frankfurter Friedenspreis“ verliehen. Dabei erzählte sie folgende Geschichte über eine ihr bekannte Frau:

„Sie war eine junge Mutter zu der Zeit, als man noch an den Bibelspruch glaubte: ,Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben.' Im Grunde ihres Herzens glaubte sie nicht daran, sie liebte ihren Jungen und erzog ihn mit Liebe. Aber eines Tages hatte ihr kleiner Sohn etwas getan, wofür er ihrer Meinung nach eine Tracht Prügel verdient hatte. Die erste in seinem Leben. Sie trug ihm auf, in den Garten zu gehen und selber nach einem Stock zu suchen, den er ihr dann bringen sollte. Der kleine Junge ging und blieb lange fort. Schließlich kam er weinend zurück und sagte: ,Ich habe keinen Stock finden können, aber hier hast du einen Stein, den kannst du ja nach mir werfen.' Da aber fing auch die Mutter an zu weinen, denn plötzlich sah sie alles mit den Augen des Kindes. - Das Kind musste gedacht haben: ,Meine Mutter will mir wirklich weh tun, und das kann sie ja auch mit einem Stein.' Sie nahm ihren kleinen Sohn in die Arme, und legte dann den Stein auf einen Bord in der Küche, und dort blieb er bis heute liegen als ständige Mahnung: „Nie wieder Gewalt!“

Liebe Brüder und Schwestern,
lassen wir die Stöcke und Steine liegen, die wir auf andere werfen wollen, - und wenn wir jemanden verbessern wollen, dann fangen wir am Besten bei uns selbst damit an. Da gibt es wahrscheinlich genug zu tun. Vielleicht bietet die kommende Fastenzeit Gelegenheit dazu?

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Predigt für den 7. Sonntag im Jahreskreis (C) am 22. II. 2004 (Konventamt, St. Ottilien)
Evangeliumstext (Lk 6, 27-38)